Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar ist im Deutschen Bundestag erstmals die Rede von einer „Zeitenwende“ gewesen. Seitdem fällt der Begriff immer wieder. Was diese Zeitenwende bedeutet und auf welchen Ebenen sie sich manifestieren wird, bleibt abzuwarten. Unstrittig aber ist, dass die Themen „Krieg und Frieden“ plötzlich wieder von ungeahnter Relevanz sind. Imperialistischer Expansionsdrang, geostrategische Überlegungen, Militärtaktik und Volkskrieg, internationale Kriegsfreiwillige und „Ruhm“ und „Ehre“, Kriegsmotive und die überaus schwierige Frage, wie ein Krieg zu beenden ist – all das bestimmt plötzlich die Schlagzeilen der Zeitungen. Vollkommen überraschend sind damit auch Themen wieder aktuell, die man in der Geschichtswissenschaft längst als veraltet beiseite gelegt hatte.

Darauf möchte diese Ringvorlesung reagieren, zumal auffällig ist, wie in öffentlichen Einlassungen immer wieder auf das 19. Jahrhundert Bezug genommen wird. So ist von einem „Rückfall in das 19. Jahrhundert“ die Rede oder einer neuen „Realpolitik“, von Bismarck oder von Clausewitz. Daher ist es das Anliegen dieser Ringvorlesung zu klären, inwiefern das Säkulum tatsächlich ein „kriegerisches“, oder ob es nicht doch eher ein friedliches Jahrhundert war. Es werden einzelne Kriege, aber auch die Bemühungen, weitere Kriege zu verhindern, thematisiert.  Welche Faktoren verhinderten kriegerische Eskalationen  und welche  begünstigten sie, welche Motive spielten eine Rolle  und welche politischen und sozialen Folgen hatten die jeweiligen Kriege?  So werden die Befreiungskriege ebenso thematisiert wie die Einigungskriege oder der Weg in den Ersten Weltkrieg. Auf diese Weise sollen erstens grundlegende Kenntnisse über das 19. Jahrhundert vermittelt werden. Zweitens geht es um die  strukturellen Mechanismen bei der Eskalation von Krisen zu Kriegen und die Schwierigkeiten ihrer Beendigung. Drittens gilt es, gemeinsam offen darüber nachzudenken, welche Herausforderung die „Zeitenwende“ auch an die Historiographie stellt – schließlich wird ein Blick von heute auf die Ereignisse des 19. Jahrhunderts dazu führen müssen, dass man „alte“ Themen „neu“ durchdringt.


Semester: SoSe 2022