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Die Einrichtung von Phonogramm- und Lautarchiven in Wien und Berlin erfolgte um 1900 und diente der Dokumentation und Erforschung fremder Musik und Sprachen in vergleichender Perspektive. Die damals neue Möglichkeit der Schallaufzeichnung
mittels des Edison-Phonographen ermöglichte die Sammlung von breiten Beständen, die in Verbindung mit Theorien der Kulturgenese gebracht wurden. Die ästhetischen Grundlagen der abendländischen Tonkunst sollten aufgeklärt werden. Basis bildeten Forschungsreisen von vornehmlich männlichen westlichen Gelehrten, Missionaren, Kolonialoffizieren bzw. Gastauftritte aussereuropäischer Akteure in Europa, bei denen die Aufnahmen angefertigt wurden.

Das Seminar untersucht die zugrundeliegenden Forschungsideologien, die Einfluss auf die Ausbildung der vergleichenden Musikforschung/Musikethnologie nahmen. Ebenso geraten die aktuelle Relevanz und die gemeinsame Erforschung dieser Aufnahmen ins Blickfeld. Die damals als Objekte der Wissenschaft geltenden Ursprungskulturen treten heute als Subjekte
der Forschung auf, die die historischen Bestände gemeinsam mit den etablierten Archiven untersuchen und in post-koloniale Zusammenhänge rücken.
Das Seminar steht in Verbindung mit dem Umzug des Berliner Phonogramm-Archivs und des Lautarchivs ins Humboldt Forum und liefert damit Einblicke in aktuelle kultur- und wissenspolitische Prozesse. Die phonographischen Archive werden hier als Wissensspeicher verstanden, anhand derer sich die Transformationen kultureller und technischer Normen sowie von `Musik` und `Sprache` erschliessen lassen.

 

 

Literatur:

 

Kowar, Helmut. 2017. „Die Anlage einer Art phonographischen Archives“ – mehr als ein Archiv. Ein Überblick über die Geschichte des Phonogrammarchivs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften“. In: Geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Anzeiger, 152. Jg., Heft 1, 5-45.

 

Werkmeister, Sven, Kulturen jenseits der Schrift: zur Figur des Primitiven in Ethnologie, Kulturtheorie und Literatur um 1900. München 2010.

 

Morat, Daniel (ed.), Wissensgeschichte des Hörens in der Moderne. Hrsg. vom Netzwerk Hör-Wissen im Wandel. Berlin, Boston 2017.

 

Lange, Britta, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915-1918: anthropologische und ethnografische Verfahren im Lager. (Veröffentlichungen zur Sozialanthropologie ; Band 17; Sitzungsberichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse ; Band 838). Wien 2013.

 

Niles, Don, Comments. Papua New Guinea (1904-1909) The Collections of Rudolf Pöch, Wilhelm Schmidt, and Josef WinthuisOEAW PHA, CD 9 (Tondokumente aus dem Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Gesamtausgabe der Historischen Bestände 1899-1950), Wien 2000.

 

Klotz, Sebastian, "Klänge als Erkenntnisquelle: Phonogramm-Archive in der Wissensgesellschaft", in: International Forum on Audio-Visual Research - Jahrbuch des Phonogrammarchivs 10, Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften 2020, S. 13-37.

 


Semester: WiSe 2021/22