Anhand von Michel de Montaignes Essais (1588) und François de La Rochefoucaulds Maximes (1664) führt das Seminar in die frühneuzeitliche Moralistik ein. Diese knüpft an die Ethik der Antike und an den Humanismus an und setzt sich zum Ziel, die Sitten (mores) der Menschen zu beobachten, zu beschreiben und zu analysieren. Weniger als um ›Moral‹ in einem modernen Sinn geht es hier um zwischenmenschliche Verhaltensregeln und um den eher tastenden als systematischen Versuch ihrer philosophischen Begründung. Während Montaigne, vorgeblich ohne jeden Gliederungsentwurf, in seinen Essais « à sauts et à gambades » (Montaigne, Essais, III, 9) voranschreitet und zunehmend Introspektion betreibt, verfolgt La Rochefoucauld in seinen Maximen einen knappen, apodiktischen Notationsstil, der von Paradoxa geprägt ist. Die Form der Texte reflektiert ihren sich entziehenden Gegenstand: ›den‹ Menschen.

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