Die Gattung des Rezitativs ist aus der Musikgeschichte kaum wegzudenken und doch problematisch. Zwar hat das Rezitativ 200 Jahre Kompositionsgeschichte überlebt und ist auch heute noch durch die Werke Bachs, Händels und Mozarts präsent, aber dabei war es immer der Langweiligkeit verdächtig („man wünschet das Ende des Recitativs, und den Anfang der Arie“) und permanent von Abschaffung bedroht. Auch die Musikforschung macht zumeist einen Umweg darum: so gibt es mehr Sekundärliteratur zum „instrumentalen Rezitativ“ als zum vokalen, dem eigentlichen Rezitativ.

Im Zentrum des Seminars steht das „italienische“ Rezitativ, die Standardform des langen 18. Jahrhunderts, und seine Unterschiede zu anderen Formen wie der Monodie des 17. Jahrhunderts, des daraus entwickelten und sich lange haltenden „französischen“ Rezitativs, verschiedener Misch- und Übergangsformen (Deklamation, Arioso) sowie dem Rezitativ des 19. Jahrhunderts (von Beethoven bis Wagner).

Dabei ziehen sich einige Themen als roter Faden durch die Geschichte:

  • Das Rezitativ als Sprache: Inhaltlicher und prosodischer Textausdruck, Behandlung von Prosa- und Gedichtstruktur, Ausrufe-, Frage- und Interpunktionsformeln;
  • Bemühungen um Absonderung oder Reinigung des Rezitativstils von Elementen der „normalen“ Musik, des „eigentlichen Gesangs“; anschließende Wiedervermischung dieser einmal bereinigten Zutaten.
  • Notation und Aufführungspraxis: Takt, Tempo, Timing, Vorschläge und andere Verzierungen, Aushalten oder Abstoßen von Akkorden usw.

Der Zugang zum Thema erfolgt durch Quellen- und Forschungslektüre, Musikhören und Werkanalyse sowie regelmäßige Tonsatzübungen.

Literatur

Literatur zur Einführung:

  • Reinhard Strohm, Artikel „Rezitativ“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. neubearb. Ausg., hrsg. von Ludwig Finscher, Kassel u.a.: 1994–2008, Bd. 8, Sp. 223ff.
  • Dale E. Monson u. a., Artikel „Recitative“, in: The Grove Dictionary of Music and Musicians oder Grove Music Online. http://www.oxfordmusiconline.com/subscriber/article/grove/music/23019
  • Friedrich-Heinrich Neumann, Die Ästhetik des Rezitativs: zur Theorie des Rezitativs im 17. und 18. Jahrhundert, Strasbourg, Baden-Baden: P.H. Heitz, 1962

Quellen zum Blättern:

  • Friedrich Wilhelm Marpurg, „Unterricht vom Recitativ“, in: Kritische Briefe über die Tonkunst, Bd. 2 (1762), 253–416 passim.
  • Johann Adolph Scheibe, „Abhandlung über das Recitativ“, Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, xi (1764), 209–68; xii (1765), 1–41, 217–266.

Musik zum Hineinhören:

  • Giulio Caccini, Le nuove Musiche (frühe Monodie)
  • Heinrich Schütz, Historia der Geburth usw. (liturgischer Leseton als Rezitativ)
  • Jean-Baptiste Lully, Armide (französisches Rezitativ)
  • Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare (italienisches Rezitativ)
  • Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion (italienisches Rezitativ, z. T. mit Kunststücken)
  • Carl Philipp Emanuel Bach, Klopstocks Morgengesang am Schöpfungsfeste (fließender Übergang von Rezitativ und Gesang)

Semester: WiSe 2021/22