Diesen Kurs in AGNES anzeigen.

In einer berühmt gewordenen Wendung hat Friedrich Schlegel „[d]ie Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre, und Goethes Meister“ als „die größten Tendenzen des Zeitalters“ beschrieben. Diese Zusammenstellung hat nicht wenig dazu beigetragen, Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) zu kanonisieren, rückt sie Goethes Roman doch in die Nähe der großen politischen und ideengeschichtlichen Umbrüche der Epoche um 1800. Dass hier kein uneingeschränktes Lob des Werks gemeint war, ist dabei nicht auf den ersten Blick erkennbar – in einem ersten Entwurf dieses Vergleichs hatte Schlegel noch ergänzt: „Aber alle drei sind doch nur Tendenzen ohne gründliche Ausführung.“
Für den Zirkel um August Wilhelm und Friedrich Schlegel und ihre Zeitschrift, das Athenäum, wird der Roman zum Gegenstand ausführlicher Diskussionen. Gleichzeitig entwickeln die Beteiligten eine eigene Poetik des Romans, der spezifischen ästhetischen Vorstellungen genügen soll und so als ,neue‘ Gattung aufscheint. Es ist wenig überraschend, dass in der Folge etliche Romane entstehen, die im Spannungsfeld zwischen Meister-Rezeption und romantischer Poetik stehen: Friedrich Schlegels Lucinde, Friedrich von Hardenbergs Heinrich von Ofterdingen oder Dorothea Veits Florentin, um nur die prominentesten Titel zu nennen.
Das SE will diese Konstellation aus verschiedenen Perspektiven untersuchen. Neben den Wilhelm Meister treten daher als Gegenstand unserer Diskussionen verschiedene Rezeptionszeugnisse, gattungstheoretische Schriften und nicht zuletzt auch die ,romantischen‘ Romane selbst. Dabei erscheint es vielversprechend, die einzelnen Stationen nicht einfach chronologisch abzuschreiten; stattdessen sollen im immer neuen Rück- oder Vorgriff auf Goethes Roman mögliche Bezüge zu den übrigen Texten (und dann auch zwischen diesen selbst) in den Blick kommen.
Thema und Aufbau des Seminars bringen ein hohes Lektürepensum mit sich. Die Möglichkeit (und Bereitschaft), die zum Teil langen Texte in kurzer Zeit für das Seminar vorzubereiten, ist also eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme. Zugleich bildet die Lektüre aus diesem Grund zusammen mit der aktiven Teilnahme die einzige Arbeitsleistung, die erbracht werden muss. Aus dem gleichen Grund sei empfohlen, Wilhelm Meisters Lehrjahre schon vor dem Semesterbeginn zu lesen. Die Kenntnis des Romans wird von Anfang an Voraussetzung für das Seminargespräch sein.

Der Roman liegt in Reclams Universal-Bibliothek vor (UB 7826, ISBN 978-3-15-007826-6 ); diese Ausgabe wird die Textgrundlage für das SE sein. Alle weiteren Literaturangaben folgen zu Vorlesungsbeginn.

Semester: WiSe 2021/22