Warum hielten Berlinerinnen oder Londoner noch zu Beginn des 20. Jh. im Alltag kaum Abstand voneinander, während sie im frühen 21. Jh. sorgsam auf ihren „personal space“ achteten? Und was hat es zu bedeuten, wenn sich in einer Gesellschaft die Präferenzen für soziale Mindestabstände verändern?

Die soziale Praxis des Abstandhaltens hat eine lange Geschichte und war seit dem frühen 20. Jh. Gegenstand verschiedener Disziplinen wie der Philosophie, Kulturanthropologie, Soziologie und Sozialpsychologie, wurde jedoch bis heute kaum aus historischer Perspektive betrachtet.

In der Übung werden wir den sozialen Mindestabstand historisieren. Hierzu machen wir uns mit der interdisziplinären Forschung zur interpersonellen Distanz und nonverbalen Kommunikation vertraut und nehmen für Fallstudien diverse Weltregionen vergleichend in den Blick.

Wir werden versuchen, den Wandel der Körpersprache in größere soziale, ökonomische und politische Kontexte einzuordnen, indem wir verschiedene geschichtswissenschaftliche Perspektiven kombinieren, von der Sozialgeschichte über die Wissenschaftsgeschichte bis hin zur Körper- und Geschlechtergeschichte.

Zudem werden wir in der Übung ein neues digitales Analyseinstrument kennen lernen und erproben, eine Methode, die aus der Kriminalistik stammt und dazu verwendet werden kann, physische Abstände in historischen Photographien zu vermessen.

Semester: WiSe 2021/22