Mit dem Ausbau von Verkehrsnetzen beginnt im 19. Jahrhundert eine Ära des Massentourismus, auf die sich nicht allein der Buchhandel mit neuen Produkten – z.B. Reiseführern – einstellt, sondern auch die Tagespresse. In der Rubrik des Feuilletons erweitern entsprechende Berichte das Themenspektrum von Prosaminiaturen, die der Menge schon zuvor auf den Straßen der Metropole folgten und deren Bewegungen durch die Bezeichnung von Sehenswürdigkeiten mitsteuerten. Nun kommen neben Ausflugszielen für den Trip am Wochenende auch Urlaubsorte in den Blick, schließlich großstädtische Vergnügungsetablissements, die mit inszenatorischem Aufwand Erlebnisse der Fernreise simulieren. Ende der 1920er Jahre hat der Piper-Verlag mit einer neuen Buchreihe Erfolg, in der populäre Feuilletonist·inn·en der Leseöffentlichkeit verraten, „was nicht im ‚Baedeker‘ steht“. Zur selben Zeit ist das Rasen zur bevorzugten Reiseform von Reportern avanciert, die sich mit der Lokalberichterstattung am Erscheinungsort der Zeitung nicht mehr begnügen, sondern sich ins Auto setzen und auf eine „Hetzjagd durch die Zeit“ (Egon Erwin Kisch) begeben. Die kleine Prosaform erweist sich dabei als Vehikel einer Kulturethnographie, die in ihrer Ausschnitthaftigkeit und Partikularität einerseits modernetypische Wahrnehmungsweisen reflektiert, andererseits ihr Nähe- und Konkurrenzverhältnis zu anderen Bildmedien ausmisst und dazu auch die Möglichkeiten der Serienbildung nutzt.

Das SE verfolgt den Wandel des Reisefeuilletons vom 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre an Beispielen von Lothar Bucher, Ernst Kossak, Ferdinand Kürnberger, Ludwig Rellstab, Egon Erwin Kisch, Joseph Roth, Siegfried Kracauer, Walter Benjamin, Vicky Baum, Annemarie Schwarzenbach und Erika Mann.

Das SE wird synchron abgehalten. Vorgesehen sind wöchentliche Videokonferenzen

Semester: SoSe 2021