Kommentar

In der unwahrscheinlichsten aller Städte (T. Mann) eröffnete 1637 das erste öffentliche Opernhaus: San Cassiano. War die Gattung bislang einer höfischen Elite vorbehalten, begann nun, in Venedig, ihre Kommerzialisierung – jedem, der es sich leisten konnte, war es möglich, eine Aufführung während der Karnevalszeit zu erleben. Schon bald existierten mehr als drei Opernhäuser in der Stadt, die miteinander konkurrierten und eine große Produktivität freisetzten: Die Serenissima wurde zum Zentrum der neuen Gattung. Während der greise Claudio Monteverdi seine letzten Bühnenwerke schrieb, begann die Karriere seines jungen Kollegen Francesco Cavalli (1602–1676), der nicht nur Komponist, sondern auch Impresario war. Die derzeit entstehende kritische Ausgabe seiner Opernwerke (Bärenreiter) ermöglicht erstmals das Studium auf aktueller Quellenbasis.

Im Seminar werden die Voraussetzungen der Oper in Venedig in den Blick genommen, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Besonderheiten der Republik betreffen, aber auch dramentheoretische Überlegungen tangieren. Anhand einer exemplarischen Werkauswahl ziehen wir die Stationen ihrer Entwicklung nach – von der Experimentierphase bis hin zur Festigung der Formen, die das „Modell Venedig“ schließlich zum Exportschlager machten. Stoffwahl, Arientypen, Sängerbesetzung, Kostüm- und Bühnenbild werden vor dem Hintergrund der marktwirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten thematisiert. Zuletzt soll auch ein Blick auf die moderne Rezeption venezianischer Oper am Beispiel von Giasone (Cicognini/Cavalli) geworfen werden: Anhand von Ton- und Videoaufnahmen ist zu fragen, welche Inszenierungsstrategien sich im Umgang mit dem historischen Stoff bestimmen lassen, welche Konsequenzen Besetzungstechniken im Hinblick auf Cross-Gender-Tradition und Stimmkonnotation haben und inwiefern der Instrumentalapparat die Interpretation des gesamten Werkes beeinflusst.

Literatur
  • Silke Leopold, Die Oper im 17. Jahrhundert (= Handbuch der musikalischen Gattungen, 11), Laaber 2004.
  • Paolo Fabbri, Il secolo cantante. Per una storia del libretto d’opera nel Seicento, Bologna 1990.
  • Florian Mehltretter, Die unmögliche Tragödie. Karnevalisierung und Gattungsmischung im venezianischen Opernlibretto des 17. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1994.
  • Ellen Rosand, Opera in Seventeenth-Century Venice. The Creation of a Genre, Berkeley 1991.
  • dies., Monteverdi’s Last Operas. A Venetian Trilogy, Berkeley 2007.
  • Eleanor Selfridge-Field, Song and Season. Science, Culture, and Theatrical Time in Early Modern Venice, Stanford 2007.
  • dies., A new chronology of Venetian opera and related genres, 1660–1760, Stanford 2007.
  • Beth Glixon, Jonathan Glixon, Inventing the Business of Opera. The Impresario and His World in Seventeenth-Century Venice, Oxford 2006.
  • Wendy Heller, Emblems of Eloquence. Opera and Women’s Voices in Seventeenth-Century Venice, Berkeley 2003.
Prüfung

Hausarbeit

Semester: SoSe 2021