Auf dem Forschungsfeld von ›Literatur und Wissen‹ ist der Traum ein geradezu paradigmatischer Untersuchungsgegenstand: Angesichts eines Wissensobjekts, das nur in Form von Erinnerungsberichten vorliegt, verbietet es sich von einer Existenz außerhalb der Darstellung auszugehen. In Bezug auf die Unmöglichkeit, die körperliche Dimension des Traums in der Sprache der Psychologie zu fassen und seine psychischen Eigenschaften mittels physiologischer Beschreibungen zu erreichen, betrachtet etwa Martina Wagner-Egelhaaf den Traum als »anthropologische Grenzerfahrung«.  Deren Reformulierung im literarischen Text lasse deutlich werden, dass Traumerfahrung stets an sprachlich-symbolische Vergegenwärtigung gebunden und alle Rede vom Traum von der Indirektheit ihrer Mitteilung gekennzeichnet sei. Literarische Texte, die Träume erzählen, stellen also nicht nur das Traumwissen ihrer Zeit dar (oder unterlaufen es), sondern reflektieren auch ihre eigene Existenzbedingung. Manfred Engel bezeichnet einen Aufsatz zu Traumtheorie und literarischen Träumen im 18. Jahrhundert als »Fallstudie zum Verhältnis von Wissen und Literatur«, für Peter-André Alt wiederum bietet der Traum »für die systematischen und historischen Perspektiven der literarischen Kulturgeschichte« einen idealen Gegenstand, weil sich an ihm »das jeweils sinnstiftende Zusammenwirken von Poesie und Wissen beispielhaft aufzeigen läßt«.

Im Seminar wollen wir uns zunächst mit neueren literatur- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen zum Traum auseinandersetzen, bevor dann, mit Schwerpunkt auf der literarischen Moderne, exemplarisch Texte gelesen werden, die Träume erzählen oder sich in anderer Form mit dem Traum und der Traumerzählung auseinandersetzen (nach einem Blick auf Traum und Vision in der Frühen Neuzeit sind mögliche Autoren Manzoni, Nerval, Baudelaire, Capuana, Svevo, Tozzi, Proust, Kafka, Breton). Französisch- und evtl. Italienischkenntnisse sind erwünscht, aber nicht zwingend. Übersetzungen müssen ggf. selbst besorgt werden.

Semester: Frühere Semester