Die Werkstatt-Tagung findet im Rahmen des DFG-Projekts „Online-Repertorium der mittelalterlichen deutschen Übertragungen lateinischer Hymnen und Sequenzen (Berliner Repertorium)“ sowie des SNF-Projekts „Deutschsprachige Gebetbuchliteratur des Mittelalters. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung, Form und Funktion“ statt.

Lateinische Hymnen und Sequenzen sind im Laufe des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in verschiedenster Weise volkssprachlich angeeignet worden, stets abhängig vom Gestaltungswillen der Verfasser und dem Gebrauchskontext der intendierten Rezipienten. Es lässt sich unterscheiden zwischen Glossierungen, die im Dienst des lateinischen Textes stehen; stilistisch getreuen Versübertragungen, die auf Sangbarkeit hin angelegt sind; Prosaübersetzungen, die sich um die getreue Wiedergabe des Sinns bemühen (die mit Abstand häufigste Form der volkssprachlichen Bearbeitung); kreativen Adaptationen, die eigene formale und inhaltliche Akzente setzen; und Gebeten, die von liturgischen Liedern inspiriert sind. In allen Fällen stellt sich die doppelte Frage nach dem Grad der Hin- und Abwendung von der lateinischen Vorlage und dem Verhältnis zur offiziellen Liturgie, von der sich die volkssprachlichen Bearbeitungen vielfach emanzipieren, um privaten und laikalen Andachtspraktiken jenseits der Liturgie Raum zu geben. 

Während sich die erste Tagung des ‚Berliner Repertoriums‘ auf das Thema der Gottesmutter Maria konzentrierte und die zweite die Verfasser geistlicher Lieder in den Blick nahm, steht in der dritten und letzten Tagung – gemeinsam organisiert mit dem SNF-Projekt ‚Deutschsprachige Gebetbuchliteratur des Mittelalters’ – die Gattungsfrage im Fokus. Gefragt werden soll nach der Gattungstransformation, die Hymnen und Sequenzen auf ihrem Weg von der lateinischen Messe zur volkssprachlichen Andacht durchlaufen. Denn die liturgischen Lieder werden nicht nur aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt, sondern auch in neue Kontexte eingeordnet und an neue pragmatische Umgebungen angepasst. So sind sie beispielsweise auch in volkssprachigen Gebetbüchern überliefert. Entsprechend weit gefächert ist das Spektrum der möglichen inhaltlichen und methodischen Zugänge:

  • Wie lässt sich der Gattungs- und Gebrauchswechsel vom Hymnus zum Gebet unter Berücksichtigung der Dichotomien Öffentlichkeit/Privatheit, Mündlichkeit/Schriftlichkeit, Gesang/Lektüre, Liturgie/Volkssprache, Pragmatik/Poetik näher bestimmen?
  • Welche neuen Formen und Funktionen nehmen Übertragungen von Hymnen und Sequenzen im Kontext von deutschen Messformularen, Stunden-, Gebet- und Andachtsbüchern an? 
  • Wie verhalten sich Hymnus und Gebet gattungstypisch zueinander?

Semester: WiSe 2020/21