Die Wiederholung bestimmter Elemente im Verlauf einer musikalischen Komposition ist ohne Zweifel ein absolut grundlegendes Prinzip für die Musik zahlreicher Kulturen. Eine bestimmte Technik nimmt in westlicher Kunstmusik zwischen etwa 1550 und 1750 eine besonders bedeutende Rolle ein: die Technik des Basso ostinato. Dabei wird eine überschaubare Bassmelodie mehrmals im Verlauf eines Stückes wiederholt, während die übrigen Stimmen jedes Mal anderes Material verwenden. 

Nach einem kurzen Überblick über die Vorgeschichte des Basso ostinato vom 13. bis zum frühen 16. Jahrhundert (vom Sommerkanon über isorhythmische Motetten bis zu den Gymel-Satzmodellen) widmet sich das Seminar folgenden Hauptstationen bzw. Traditionssträngen: 1. Praxis der Improvisation über ostinaten Bässen (Diego Ortiz bis Christopher Simpson); 2. Vokalkompositionen über Bassi ostinati (Monteverdi bis Purcell); 3. Chaconne und Passacaglia (von den Anfängen über Lully bis Bach); 4. „Überbleibsel“ des Basso ostinato im späten 18./19. Jahrhundert (z.B. Brahms); 5. „Wiederentdeckung“ im 20. Jahrhundert (Vaughan-Williams, Hindemith, Stravinsky, Britten, Shostakovich); 6. Basso ostinato in Film- und Popmusik. 

Dabei wird immer auch die Frage gestellt, warum sich diese Technik zu bestimmten Zeiten solch großer Beliebtheit erfreute, zu anderen Zeiten jedoch kaum eine Rolle spielte. Letztlich kann etwa die gegen Ende des 17. Jahrhunderts erfolgte Abkehr von der strengen Wiederholung des Basses in Verbindung gebracht werden mit einem zunehmenden Empfinden für Tonalität und tonale Strukturierung von Musikstücken, sowie mit dem Gegensatz zwischen dem „Natürlichen“ und dem „Artifiziellen“ in der Kunstphilosophie des 18. Jahrhunderts.

Semester: WiSe 2020/21