‚Schwarze‘ (oder people of colour) in Frankreich – ganz egal, welche ‚Geschichte‘ sie jeweils haben (ob sie oder ihre Vorfahren also irgendwann von irgendwoher eingewandert oder immer schon in Frankreich heimisch sind) – sehen sich (anders als die weiße Mehrheitsgesellschaft) spätestens seit der Französischen Revolution und der Erklärung der Menschenrechte einer fundamentalen Ambivalenz ausgesetzt – die aus dem Widerspruch zwischen dem republikanischen Gleichheitsideal und einer sozialen Wirklichkeit resultiert, die von einer nicht zuletzt ethnisch kodierten Ungleichheit (‚Rassismus‘) geprägt ist. Diese Ambivalenz ließ sich wie im Brennglas zuletzt anlässlich der ‚Pantheonisierung‘ von Josephine Baker im November 2021 beobachten. Früh schon (man denke an Toussaint Louverture) sind ‚die Schwarzen‘ (also die, die anders sind, weil sie anders behandelt und ‚angerufen‘ werden) daher aufgestanden und haben das Wort ergriffen, um sich selbst in diesem Spannungsfeld zu verorten, indem sie sich von den vor allem vom Kolonialismus geprägten Fremdbildern emanzipierten und diesen je andere Selbstbilder entgegensetzten. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts indes entfalteten sie dabei in Frankreich eine gewisse Massenwirksamkeit: Etwa zur gleichen Zeit, als auf der großen Ausstellung im Palais de la porte Dorée die kolonialen Fremdbilder noch einmal kulturpolitisch fixiert wurden, begannen die Schwarzen selbst in den Pariser Hörsälen, Buchhandlungen und Nachtclubs aufzutreten, um sich aktiv in der Welt oder doch jedenfalls in der französischen Diaspora zu verorten. Dabei etablierten sie gewissermaßen en passant eine ‚Popkultur‘, die der (oft dann wieder weiße) Mainstream sich bald aneignete und mit den Dispositiven der Unterhaltungsindustrie in symbolisches wie ganz reales Kapital zu übersetzen wusste.

Wir wollen im Seminar die wichtigsten Stationen der Geschichte dieser Selbstverortung in den Blick nehmen und danach fragen, wie hier Selbst- und Fremdbilder mittels bestimmter kultureller und diskursiver Praktiken (strategische Essentialismen, Resignifizierung, kulturelle Aneignung…) ineinander übersetzt und (theoretisch wie literarisch) zur Sprache gebracht werden: etwa das von der ‚Harlem Renaissance‘ geprägte Paris seit der Nachkriegszeit, Literatur und politische Theorie der Négritude-Bewegung im Umfeld der Buchhandlung Présence africaine, die Sape und die sapeurs und ihr Auftritt in der Literatur (Alain Mabanckou), Paris in der französischsprachigen ‚Weltliteratur‘ der Gegenwart (etwa bei Mohammed Mbougar Sarr), die ‚Pantheonisierung‘ von Josephine Baker und schließlich die Neukuratierung des Palais de la porte Dorée.

Zur vorbereitenden Lektüre empfohlen: Pascal Blanchard (Hg.), La France Noire. Présences et migrations des Afriques, des Amériques et de l’Océan indien en France. Paris (La Découverte) 2011.

Semester: SoSe 2023
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Chicana-Feminismus

Chicana/chicano ist ein ursprünglich abwertend verwendeter Begriff zur Bezeichnung von in den USA lebenden Mexikaner*innen, der in den 1960er Jahren im Zuge von Bürgerrechtsbewegungen als Selbstidentifikation wiederangeeignet wurde. Eine zentrale Rolle für den in diesem Prozess entstandenen Chicana-Feminismus nimmt hierbei die Virgen de Guadalupe ein, die in neuen dekolonialen Lesarten als verschiedene Anteile indigener Gottheiten verbindende Heilige interpretiert wird und so als empowerndes (FLINTA)Rollenvorbild dient (z.B. in den Kunstwerken von Alma López).

Dieses literaturwissenschaftliche, kultur- und gendertheoretische M.A.-Seminar soll sich dem ‚Mestiza-Schreiben‘ (hybrides, queer-feministisches, intersektionales Schreiben, das oftmals auf indigene Praktiken sowie Kolonialisierungsprozesse verweist) widmen, um u.a. ausgehend von der an der texanisch-mexikanischen Grenze aufgewachsenen Gloria Anzaldúa, deren Name gerade in den letzten Jahren immer zentraler für die feministische Theoriebildung zu werden scheint, einen Fokus auf Lateinamerika, insbesondere Mexiko, das 20./21. Jahrhundert und spanisch-, bzw. englischsprachige Texten zu legen. 

Ausgehend von der Frage des ‚Mestiza-Schreibens‘ (neben Anzaldua z.B. Cherríe Moraga) sind folgende inhaltliche Elemente des geplant: die geschichtliche Entwicklung der Chicano/a-Bürgerrechtsbewegung, der Chicana-Literatur, der Chicana Studies und des geopolitischen Grenzraums zwischen Mexiko und den USA; queer-hybride Schreibpraktiken und Subjektentwürfe; ‚Mestizaje‘; Chicana-Literatur, -Film und Performance; Bilingualismus und Bikulturalismus; Chican@-Identitäten; Autofiktion/Autotheorie und feministische Selbstentwürfe.

Wir werden u.a. Spuren der behandelten Texte hinsichtlich ihrer Einflüsse auf feministische, postkoloniale/dekoloniale und neumaterialististische Theoriebildung untersuchen (z.B. Karen Barad, Donna Haraway, Trinh Minh-Ha) und anhand pluraler und intersektionaler Perspektiven zentrale Begriffe wie „dritte Welt“, „Frauen“, „Andere“, „race“, „mestiza-consciousness“, „Zwischen“, „Grenzen“ im Laufe des Semesters kritisch erarbeiten.

Für die Teilnahme am Seminar sind Lektürefähigkeiten des Spanischen und Englischen wichtig, da möglichst nah an den Originaltexten (bzw. an den anderen künstlerischen Ausdrucksformen wie z.B. visual art) gearbeitet werden soll und einige der Texte (noch) nicht in Übersetzung vorliegen. Grundsätzlich soll das Seminar aber allen Interessierten offenstehen – Lösungen lassen sich in der Regel immer finden.


Semester: SoSe 2023

Rousseau et nous

Institut für Romanistik, HU Berlin, SoSe 2023

Montag 16-18, DOR 24, 1.607

Dozentin: PD Dr. Vanessa de Senarclens

Sprechstunde: Termin per Email zu vereinbaren: senarclv@hu-berlin.de

 

Bibliographie succincte

Pour les travaux écrits, consulter l’édition de référence :

Jean-Jacques Rousseau : Œuvres complète, éd. par Bernard Gagnebin, Paris. 1959-1995, 5 tomes (dans toutes les bonnes bibliothèques)

Et/ou Rousseau online : https://www.rousseauonline.ch/tdm.php

Pour s’orienter :

Dictionnaire Rousseau sous la direction sous la direction de Raymond Trousson et Frédéric S. Eigeldinger, Paris (Honoré Champion) 2006

Rousseau und die Moderne. Eine Kleine Enzyklopädie, éd. Iwan-Michelangelo D’Aprile, Stefanie Stockhorts, Göttingen 2013

A Rousseau Dictionary (The Blackwell Philosopher Dictionaries), ed. N.J.H Dent, 1992

Quelques ouvrages clefs

Bronislaw Baczko, Job, mon ami : promesses du bonheur et fatalité du mal, Paris, Gallimard, « NRF essais », 1997, partie 3, p. 177-237

Béatrice Durand, Rousseau Stuttgart 2007 (Grundwissen Philosophie)

Jean Starobinski, Jean-Jacques Rousseau, la transparence et l'obstacle: suivi de Sept essais sur Rousseau, (Paris NRF) 1971

Mark Hulliung, The Autocritique of Enlightenment. Rousseau and the Philosophes, Harvard University Press 2013

Lévi-Strauss, Claude, “Jean-Jacques Rousseau, fondateur des sciences de l’homme” in Jean-
Jacques Rousseau, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, Paris (Agora classiques) Paris 1990,  pp. 284-293.

Sur les Lumières en général

Robert Darnton, George Washington's False Teeth: An Unconventional Guide to the Eighteenth Century, London (Norton) 2003

Iwan-Michelangelo D’Aprile, Winfried Siebers, Das 18. Jahrhundert. Zeitalter der Aufklärung, Berlin (Akademie Verlag) 2008

John Robertson, The Enlightenment. A very Short Introduction. Oxford 2015

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Semester: SoSe 2023

Gender und Queer Studies befassen sich mit der diskursiven und performativen Hervorbringung von Geschlechterordnungen und Geschlechterstereotypen, von Körperlichkeit und sexueller Orientierung sowie mit der konterdiskursiven Provokation und Subversion der etablierten Ordnung. ‚Queer‘ bezieht sich auf alles Widerständige, das sich nicht den geläufigen Dichotomien (männlich/weiblich, hetero/homo) fügt und die Heteronormativität als Effekt von Macht- und Unterdrückungsmechanismen sichtbar macht. Das Seminar bietet eine Einführung in verschiedene Theorien und Tendenzen, die unter den Bezeichnungen „Gender Studies“ und „Queer Studies“ zusammengefasst werden und lotet Möglichkeiten der Anwendung auf Literatur und Film aus. Drei Bereiche stehen im Fokus der Seminararbeit: 1. die historische Genese des Zwei-Geschlechter-Modells, die anhand einschlägiger Textauszüge von Rousseau, Freud und Weininger untersucht wird; 2. ausgewählte Ansätze der Gender und Queer Studies im Anschluss an Foucaults Histoire de la sexualité 1 (u.a. von Judith Butler und Eve Kosofsky Sedgwick); 3. die Anwendung der Theorien und das „queer reading“ ausgewählter französischsprachiger Text- und Filmbeispiele.

Zur Einführung empfehle ich: Franziska Schössler und Lisa Wille: Einführung in die Gender Studies, 2. aktualisierte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Boston: De Gruyter 2022.


Semester: SoSe 2023
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Die Seele (anima, soul, alma, âme ...) ist ein Begriff, der die Kulturgeschichte seit ihren Anfängen prägt. Ob aus der Perspektive der Theologie, Philosophie, Psychologie oder Psychoanalyse – die Seele scheint eine grundlegend anthropologische Dimension und zugleich eine Chiffre für jenes nicht zu Verortende zu sein, das den Menschen ausmacht. Doch was ist unter Seele zu verstehen – und was wurde darunter verstanden?

Bei Platon ist die unsterbliche Seele ihrem sterblichen Körpergefängnis klar übergeordnet, bei Aristoteles vollendet sie den Körper, bei den Stoikern wird sie als eine Art Oktopus gedacht, der sich vom Kopf aus mit seinen sieben Teilen in den Körper erstreckt. Insbesondere in mystischen Traditionen wird die Seele als ebenso paradoxaler wie unendlicher Innenraum gedacht, der zu ergründen und zu gestalten ist, um so irgendwann eine Begegnung mit Gott zu ermöglichen, die Innen und Außen eins werden lässt. Was die meisten Texte über die Seele vereint, ist, dass sie die Seele in ihrem Verhältnis zum Körper denken. Auch Descartes beschreibt – aus medizinisch-physischer Perspektive – in seinen Passions de l’âme (1649) das komplexe Wechselverhältnis von Seele und Körper. Jacques Derrida bezeichnet das im Jahr 2000 unter dem Titel Corpus veröffentlichte Buch seines kürzlich verstorbenen Kollegen Jean-Luc Nancy als „De anima unserer Zeit“. Giorgio Agamben verkoppelt seine Lektüre von De anima mit Fragen des Lebens an sich. 

Aber spätestens seit Descartes ist die Seele auch Anfechtungen ausgesetzt, verlieren ihre ontologischen und spirituellen Dimensionen innerhalb der Wissenschaften zunehmend an Terrain. 1876 fordert Théodule Ribot programmatisch, als positive Wissenschaft habe die Psychologie – endlich – eine psychologie sans âme, eine Psychologie ohne Seele zu sein. Tatsächlich verabschiedet die Psychologie, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Frankreich wie anderswo von der Philosophie abspaltet, um zu einer autonomen Disziplin an den Universitäten zu werden, ihren traditionellen Gegenstand. Nachdem die Seele bereits zuvor Fakultät für Fakultät, Funktion für Funktion in die Domäne der Erfahrungswissenschaften gefallen ist, wird sie, fortan als ›Psyche‹ bezeichnet, gänzlich von einer metaphysischen Entität in einen Empfindungs- und Wahrnehmungsapparat transformiert.

Was verlieren die sciences de l’âme, wenn sie mit dessen ontologischen, spirituellen und auch ethischen Dimensionen ihren traditionellen Untersuchungsgegenstand aufgeben und als Psychowissenschaften zu Wissenschaften ohne Seele werden? Und welche Reaktionen rufen diese Entwicklungen hervor? Lässt sich die Ausbildung okkultistischer, spiritistischer und neo-mystischer Strömungen innerhalb (Frederic W. H. Myers, William James) und außerhalb von Psychologie und Philosophie in diesem Kontext verorten? Kann gar die Entstehung und Institutionalisierung der Psychoanalyse, kann ihr provokantes Anknüpfen an das hermeneutische Deutungsparadigma als Reaktion auf diesen Verlust verstanden werden? 

In unserem Ringseminar wollen wir zusammen mit sieben Expert*innen aus den unterschiedlichen Fachgebieten polyphone Seelenentwürfe von der Antike bis ins 21. Jh., von Aristoteles bis Agamben miteinander in Resonanz bringen. Dabei werden wir einerseits Seelenentwürfe untersuchen, in denen die Seele einen persönlichen Innenraum der Erfahrung (Gottes) bildet, andererseits Entwürfe der Seele als (wissenschaftlich) analysierbaren Raum. Wissenshistorische wie systematischen Zugänge sollen dabei gleichermaßen erprobt und zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Das Seminar ist komparatistisch angelegt, die Texte werden jeweils im Original sowie in Übersetzung gelesen.


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Modul 7 Fachdidaktik

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Modul 6 (FRZ/ITAL): GRAMMATIKUNTERRICHT

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Tutorium und Schreibwerkstatt: Wissenschaftliches Arbeiten für Romanist*innen


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